Jenja (Ievgeniia) Gotthard

Radiologietechnologin

Der herzliche Familienmensch ist in der Ukraine aufgewachsen und hat sich als Studentin zunächst als Au pair in Deutschland nieder gelassen, um Erfahrungen für ihr Germanistik-Studium zu sammeln und um die Sprache besser zu erlernen. Über private und berufliche Umwege landete Jenja Gotthard dann schließlich in Vorarlberg, wo sie bis heute mit ihrer kleinen Familie lebt und arbeitet – und zwar in ihrem Traumjob: Als medizinische Radiologietechnologin hat sie einen bislang eher weniger bekannten, aber umso spannenderen Beruf ergriffen, der ihrer hilfsbereiten und wissbegierigen Art gleichermaßen entgegen kommt.

In Jenjas Zuhause in Hohenems fühlen wir uns gleich willkommen. Trotz des soeben absolvierten Nachtdienstes empfängt sie uns mit selbstgemachtem Kuchen, „das ist ein typischer Kuchen, wie man ihn in der Ukraine macht“, meint sie dazu fröhlich. Man merkt, hier wird Herzlichkeit wirklich gelebt und nicht nur gespielt.

Familie als höchstes Gut

Aufgewachsen ist Jenja – gemeinsam mit ihrer großen Schwester – in der Ukraine, in der Stadt Berdytschiw, rund 200 Kilometer von der ukrainischen Hauptstadt Kiew entfernt. Dort hat sie gelernt, die Familie als das höchste Gut zu schätzen, „ich bin bis heute mit meiner Familie eng verbunden, trotz der Distanz. Die Familie ist das Wichtigste für mich“, sagt sie. Jenja Gotthard hat ihre gesamte Kindheit und Jugend in der Ukraine verbracht, sie ist dort zur Schule gegangen und hat das Gymnasium abgeschlossen. Jenja hält ihre Heimat in liebevoller Erinnerung, auch wenn der Kommunismus zu dieser Zeit mitunter noch die absurdesten Blüten trieb – „es kam vor, dass wir Schüler in einer Klasse alle die gleichen T-Shirts anhatten, weil es einfach nur dieses eine Modell zu kaufen gab“, erzählt sie, „mit Lebensmitteln war es manchmal ähnlich“. Es ist vor allem die Mentalität der Menschen, die in ihrer Geburtsstadt leben, die sie so schätzt – „sie sind offen und warmherzig“, erzählt sie. Noch heute ist Jenja gerne zu Besuch bei ihrer Schwester und der Familie, die nach wie vor in der Ukraine leben.

Jenjas Mutter war Lehrerin an einer Schule in Berdytschiw, ihr Vater viel im Ausland unterwegs. „Aber am schönsten war es bei meiner Oma auf dem Land: sie lebt in einem kleinen Dorf, rund 80 Kilometer von Berdytschiw entfernt. Hier gibt es viel Natur, Kühe, Gänse und Schafe, hier durfte ich an den Wochenenden und in den Sommerferien meine Zeit verbringen. Ich habe es geliebt. Die Oma war damals komplette Selbstversorgerin, sie hat von ihren Tieren und ihrer Landwirtschaft gelebt. Am Land leben eher die ärmeren Menschen, in der Stadt die Menschen mit einem sicheren Einkommen. Meine Mutter wollte für uns Töchter eine sichere Zukunft. Deshalb wünschte sie sich, dass meine Schwester und ich auch Lehrerinnen werden, wie sie selbst.“ Also begann Jenja ein Germanistik-Studium mit Lehramtsausbildung an einer privaten ukrainischen Universität.

Bei aller Familienverbundenheit war die heute Dreißigjährige schon immer sehr weltoffen und hat sich dann als junge Frau auch nicht gescheut, die Heimat für längere Zeit zu verlassen. Auch wenn es einige Überwindung kostete, gibt sie heute offen zu. „Fortes fortuna adjuvat“, das lateinische Sprichwort für „Den Mutigen hilft das Glück“ hat sie sich als Tattoo auf dem Rücken verewigen lassen. Und es sind nicht nur leer Worte geblieben: Um Erfahrungen zu sammeln, das Land kennen zu lernen, über das sie so viel gelesen und gelernt hatte und um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, ging sie nach Deutschland und arbeitete dort als Au pair. „Ich versuche, meine Träume zu leben. Im Hier und Jetzt“, sagt Jenja. Es war damals ihre erste große Reise, „ ich habe meine Familie zum ersten Mal verlassen und bin ganz alleine gereist. Anfangs hatte ich großes Heimweh. Aber es sollte ja nur für ein Jahr sein“, beruhigte sie sich damals selbst.

In ihrer Zeit in Deutschland erlebte sie die Menschen im Vergleich zu ihrem Umfeld in der Ukraine als „eher distanziert und kühl. Anstatt einer Umarmung gab es hier nur einen Händedruck zur Begrüßung“. Jenja Gotthard empfand zu Beginn auch die deutsche Sprache als Herausforderung, obwohl sie ihr ja nicht komplett fremd war. Sie arbeitete in zwei Gastfamilien, zunächst in Bayern, später in Göttingen. Sprachlich ging es bald aufwärts, „nach einem halben Jahr war das kein Problem mehr“, sagt sie.
Und dann lernte sie durch Zufall die Liebe ihres Lebens kennen. In Göttingen. Ein Deutscher. Das Jahr war bald vorüber, die Liebe blieb – „und er kam sogar mit mir zurück in meine Heimat“, schwärmt Jenja. „Ich war froh, dass ich wieder zuhause war. In der Ukraine lebt man einfach intensiver und es zählen die einfachen Dinge im Leben. In Deutschland stand der Konsum im Vordergrund, ich hatte das Gefühl, dass die Menschen nie zufrieden waren mit dem, was sie hatten und immer nach noch höheren Dingen strebten.“

Kirche, in der Jenja und ihr Mann geheiratet haben

In dieser Kirche in der Ukraine haben Jenja und ihr Mann geheiratet

Zurück nach Deutschland

Zwei Jahre lebte das Paar dann in der Ukraine. Als Jenja ein Kind erwartete, legte sie ihr Studium auf Eis. Und als ihr Sohn schließlich auf der Welt war, wurden die Karten ihres Lebens komplett neu gemischt: „Auf einer Berufsmesse bin ich nämlich auf den Beruf der Radiologietechnologin gestoßen. Die Vorstellung hat mich sofort fasziniert. Moderne Technologien, immer wieder neue medizinische Geräte kennen lernen und mit Patienten und medizinischen Fachleuten zusammen arbeiten! Das war genau das, was ich wollte.“ Die junge Familie übersiedelte daher kurzerhand wieder zurück nach Göttingen, Jenja begann ihre Ausbildung. „Es war nicht ganz einfach, all die anatomischen Begriffe auf Deutsch zu lernen, und noch dazu die lateinischen Bezeichnungen, aber gleichzeitig war es einfach hochspannend.“

Radiologietechnologin aus Leidenschaft

Ihr Praktikumsjahr absolvierte sie unter anderem in Vorarlberg, wo sie sich schnell „wie zuhause“ fühlte. „Ich wurde hier sehr herzlich aufgenommen und musste meinen Mann nicht lange überreden, ganz nach Vorarlberg zu ziehen. Mittlerweile arbeitet Jenja Gotthard seit mehreren Jahren in der Radiologie am Landeskrankenhaus Bregenz. „Der Beruf ist nach wie vor sehr abwechslungsreich, ich komme mit Fachleuten aller Stationen in Kontakt. Dadurch bekommt man ein großes medizinisches Allgemeinwissen.“ Jenjas Aufgaben als Radiologietechnologin im Spital ziehen sich nämlich durch alle Bereiche, die im Zusammenhang mit einer Untersuchung mit Röntgenstrahlen und Ultraschall stehen. Das betrifft also alle bildgebenden Verfahren, alles, was mit Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (ohne Röntgenstrahlung, kurz: MRT) und Ultraschall zusammenhängt. (Mehr dazu unter: www.radiologietechnologen.at)
Jenja ist beispielsweise bei der Untersuchung von akuten Unfallopfern genauso aktiv dabei wie bei vorsorgenden Mammographien (Brustuntersuchungen mit Röntgenstrahlen) und Biopsien, also der Entnahme von Gewebe. Das bedeutet nicht nur ein ständiges Dazulernen im medizinischen Bereich, sondern auch eine tagtägliche Lebensschule – denn natürlich erlebt sie auch schwere Schicksalsschläge hautnah mit.

Ihr Mamasein lässt sich mit ihrem Beruf sehr gut vereinbaren, „in der Radiologie in Bregenz geht man sehr rücksichtsvoll mit berufstätigen Mamas um. Das Team, das hauptsächlich aus Frauen besteht, ist sehr kollegial und hält zusammen“. Mit ein Grund, warum sich Jenja Gotthard recht bald heimisch gefühlt hat. Mittlerweile hat sich die kleine Familie einen weiteren Traum erfüllt. Sie hat sich ein Häuschen gekauft, „wir haben es durch Zufall entdeckt und es fast komplett selbstständig renoviert. Das wäre in der Ukraine unmöglich gewesen“. Für die Zukunft wünscht sich Jenja, dass auch ihre Eltern in ihrer Pension zu ihr nach Vorarlberg ziehen, „denn die vermisse ich nach wie vor sehr. Und je größer die Familie, umso besser…“.

Verfasst im April 2017

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