Sylvia Loibner

Pharmazeutin, Inhaberin und Geschäftsführerin der „Taxiflotte 878“

Ein Porträt von Rainer Juriatti

Geboren ist sie in Schruns. Aufgewachsen im Montafon, wo ihre Eltern heute noch leben. Einmal im Jahr fährt sie nach Vandans, um – wie sie sagt – ihr „im Grunde nicht vorhandenes Heimweh“ abzustreifen. Dennoch bleibt Sylvia Loibner in ihrem Wesen eine geborene Bitschnau. Da kann auch ihr Ortswechsel nach Graz nichts daran ändern, im Gegenteil: Als Unternehmerin mit rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zählen besonders ihre alemannischen Werte und Haltungen. Über Sylvia Loibner zu erzählen, das allerdings kann der Autor dieses Beitrags nicht auslassen.

Sylvia Loibner besucht mich in meinem Atelier im Grazer Künstlerviertel Lend. Natürlich kommt sie ganz unserer Vorarlberger Mentalität entsprechend exakt zum definierten Zeitpunkt. Die Besuche seien ihr willkommene Auszeit, mein Inseldasein inmitten der bewegten und bewegenden Stadt tue ihr wohl, meint sie.

Titelbild außen: Sylvia Loibner und Rainer Juriatti; Foto: ©Robert Vogrin
Titelbild innen: Sylvia Loibner und ein Teil ihres Teams; Foto: ©Rainer Juriatti

Ich kenne Sylvia nun seit sechs Jahren. Seit meinen ersten Tagen hier in Graz. Das „Vorarlbergische“ hat uns umgehend verbunden, und so sind wir auch beruflich zusammengewachsen. Vielleicht, weil wir uns nicht mehr aus den Augen verlieren wollten. Dennoch ist es das erste Mal, dass wir uns begegnen, um über unsere gemeinsamen Wurzeln zu sprechen. In den Tagen vor unserem Treffen wurde mir bewusst, dass ich wenig darüber weiß, wie sie überhaupt hierher geraten ist, was sie hier bleiben ließ, außer: die Liebe.

Sie lacht, als ich sie darauf anspreche. „Ja“, meint sie, „man kennt sich gut und dann auch wieder nicht. Also von ganz vorne?“. Ich nicke. Wir setzen uns und Sylvia breitet einige Unterlagen aus. Sie habe ein paar dienstliche Sachen dabei. „Das hier ist dienstlich“, antworte ich lachend und bitte sie, mir an den Computer zu folgen. Sylvia beginnt ungern bei sich selbst. Damit bereits ist einer ihrer wesentlichen Charakterzüge erläutert. Also betrachten wir zunächst ein Video, das ich für ihr Unternehmen gerade fertiggestellt habe. Dann besprechen wir die Drehbücher der nächsten Clips. Wir reden über Geld, Schauspieler, Zeitpläne. Endlich aktivieren wir die Kaffeemaschine. Setzen uns zurück an den Tisch zwischen meine zwei ärmlichen Pflanzen. Sylvia hakt drei Punkte von ihrer Besprechungsliste. „Erledigt“, sagt sie. Sie ist immer gut vorbereitet: Charakterzug Zwei. Ihre Genauigkeit wird von den Spritzer trinkenden Steirern mit ihrer üblichen „akademischen Viertelstunde“ sehr geschätzt. Charakterzug Drei. „Man wird ja erst jenseits des Arlbergs ein wirklich guter Vorarlberger“, bemerke ich in Anspielung auf das Anerzogene. Wir lachen. Ja, so sind wir und sind damit endlich beim Thema.

Sylvia Loibner im Atelier von Rainer Juriatti

Fotohinweis: Sylvia Loibner im Atelier von Rainer Juriatti; Foto: ©Rainer Juriatti

Die Sache mit Onkel Walter

In der Volksschule in Vandans sei es für sie bereits vollkommen klar gewesen, dass sie einmal Lehrerin werden wolle, beginnt sie beim Stichwort Kindheit. „Es gab keinen anderen Gedanken, doch einige Jahre später erlebte ich, wie eine englische Professorin von einigen Schülern derart gemobbt wurde, dass sie nach wenigen Monaten zurück nach England ging. Ich habe mir ausgemalt, dass mir so etwas auch passieren könnte, und das war es dann mit dem Wunsch“. Im Feldkircher Internat bei den Kreuzschwestern sei die Idee in ihr gewachsen, Pharmazie zu studieren. „Mathe, Physik und Chemie, das waren meine Lieblingsfächer.“ Also schien ihr dieses Studium passend. „Außerdem gefiel mir das Wort“, lacht sie auf, „Pharmazie! So sehr ich mir sicher war, eines Tages Lehrerin zu werden, so sicher war ich mir nun, eines Tages meine eigene Apotheke zu führen. In Schruns hatte ich einen Onkel, er arbeitete als Diplomingenieur in einem großen Unternehmen. Und dieser Onkel Walter, der schwärmte immer in höchsten Tönen von der Studierstadt Graz. Zugleich hatte ich im Internat eine Zimmerkollegin, die aus Graz stammte …“ Sylvia hält plötzlich inne, dann schmunzelt sie. „Mir fällt gerade auf, dass meine Eltern bis letzte Woche, als wir darüber sprachen, glaubten, ich sei wegen meiner Zimmerkollegin nach Graz gegangen. Tatsächlich. So viele Jahre lagen sie falsch.“ Onkel Walter nämlich, der sei ihr Auslöser gewesen. „Er hat derart von Graz geschwärmt, dass Innsbruck für mich nie in Frage gekommen wäre.“

Gemeinsam mit ihrem Vater habe sie Graz kennen gelernt. „Wir suchten ein Zimmer und fanden eine Vermieterin, die nach 25 Ehejahren unlängst von ihrem Mann verlassen worden war und im Grunde eine Begleitung suchte. Dort konnte ich für 1.000 Schilling inklusive Frühstück wohnen.“ Ich lache auf, worauf Sylvia heftig nickt. „Ja, so etwas hat es gegeben! Aber keine Männerbesuche! Eigentlich überhaupt keine Besuche! Das war nicht erlaubt.“ Ich frage, wie das dann vonstatten ging, als sie ihren Mann kennenlernte.

Die Sache mit Hans Loibner

Sylvia hält inne. Schaut nachdenklich. Mit Hans Loibner gründete die Unternehmerin im Jahr 1989 die heutige Taxifunkzentrale. Gemeinsam mit drei anderen Unternehmern schlossen sie sich zusammen, brachten sechs Taxis in die Firma ein. Gesamt bewegten sich 17 weiße Mercedes, die eine einheitliche Beschriftung trugen, durch die Straßen von Graz. Zu dieser Zeit eine Novität. Die kleine Flotte habe weit größer gewirkt, als sie gewesen sei. Den Grundstein dazu hatte Hans Loibner wenige Jahre zuvor gelegt, als er mit seinen Fahrzeugen bei einer Taxifunkzentrale angeschlossen war, die sich beharrlich weigerte, „Datenfunk“ einzuführen. Hans Loibner hingegen glaubte an diese Methode, sah darin die Zukunft des Taxigewerbes. Zwei Jahre nach Gründung von Taxi 878 bewegten sich bereits 117 Fahrzeuge mit ihrem Logo durch Graz.

„Bei Schulungen betone ich immer“, lächelt Sylvia schließlich, „dass es untersagt ist, mit Taxigästen über die jeweilige Fahrt hinaus Kontakt zu halten oder diesen zu suchen“. Gleichzeitig habe sie ihren Mann exakt auf diese Weise kennengelernt. „Im November 1977. Ich war noch nicht lange in Graz und meine Mutter hatte mich ja eindringlich gewarnt, eine Großstadt sei gefährlich. Also habe ich eines Abends trotz engem Monatsbudget ein Taxi genommen. Mein späterer Mann hat es gelenkt und er hat getan, was ich meinen Fahrerinnen und Fahrern nicht erlaube: Er hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihm auf eine Tasse Kaffee zu gehen. Ich habe natürlich sofort verneint. Meinen Studienkolleginnen erzählte ich davon und regte mich darüber auf, wie dreist dieser Mann gewesen sei.“ Im Mai des Folgejahres besuchte sie eine Freundin in Wien und leistete sich – längst wissend, dass Graz nicht annähernd so gefährlich war, wie es ihre Mutter geschildert hatte – erneut ein Taxi, und erneut saß ihr späterer Mann hinter dem Steuer. „Schließlich standen wir eine halbe Stunde vor meinem Haus, ich mit meinem Koffer in der Hand, bis er mich so weit hatte, dass ich mich geschlagen gab.“ Sylvia lacht. „Meine Vermieterin hat mir das Zimmer im zweiten Studienjahr dann nicht mehr gegeben, so ging das vonstatten. Sie meinte, ich sei nun ein gefallenes Mädchen.“

Die Sache mit der Pharmazie

Im Jahr 1985 schloss sie ihr Studium ab. Heirat war bis zu diesem Zeitpunkt kein Thema für sie gewesen. „Ich wollte als eine Bitschnau zur Sponsion gehen“, erzählt sie, „und so war es auch. Ich arbeitete in einer Apotheke und eines Tages kam Hans herein und beschloss: Am Freitag heiraten wir“. Ihre Chefin aber meinte, am Freitag könne sie nicht frei bekommen… Sylvia lacht. „Also haben wir am Montag darauf geheiratet. Ganz für uns, es blieb nicht einmal Zeit, meine Eltern zu informieren, die rechte Form dazu ist mir nicht eingefallen.“ Als Sylvia mein Stirnrunzeln bemerkt, erklärt sie lächelnd, ihr Mann habe während der Hochzeitsreise, die sie in Venedig verbrachten, die Eltern im Montafon angerufen.

So sei ihr Mann gewesen: zielgerichtet, beharrlich, ungewöhnlich dabei. „Das hat mir an ihm gefallen“, sagt sie, „sein Familiensinn, seine Freude an der Musik und Geselligkeit, seine Freude an Zeiten wie dem Advent und der Weihnacht“. Bis heute wird Weihnachten bei Sylvia Loibner nicht mehr gefeiert. „Nach dem frühen Tod meines Mannes“, erzählt sie, „im Jahr 2005, unser Sohn Peter war 14, unsere Tochter Elisabeth gerade zehn Jahre alt, haben wir das nicht mehr gekonnt. An Weihnachten fuhren wir immer irgendwo hin, um nicht zu Hause sein zu müssen“. Das Jahr 2005 markiert einen tiefen Einschnitt in ihrem Leben. „Nach unserer Firmengründung im Jahr 1989“, erzählt sie, „arbeitete ich noch viele Jahr parallel in einer Apotheke. Doch die Belastung Kinder-Apotheke-Unternehmen zwang mich ja zu einer Entscheidung, die mir recht einfach fiel. Unser Unternehmen war mir wichtig, zudem blieb ich für meine Kinder flexibel. Mit meinem Mann an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten, machte mir große Freude, und ich hatte sie alle immer um mich. Unsere gemeinsam begründete Idee einer modernen Taxiflotte hat mich nach seinem Tod weitermachen lassen, so bin ich ihm und unserem gemeinsamen Leben treu geblieben“.

Die Sache mit dem Alltag

Als Unternehmerin ist Sylvia bis heute erfolgreich. „Moderne Mobilität“, sagt sie und nickt mir zu, „diesen Begriff hast ja nicht zuletzt du kreiert, das bedeutet für mich, jede Form der technologischen Veränderung ernst zu nehmen, aufzunehmen und im Rahmen des Unternehmens umzusetzen. Bis Ende des Jahres werden wir unsere E-Taxi-Flotte auf 40 Fahrzeuge ausgebaut haben. Wir freuen uns über 81 Hybridtaxis und setzen jüngst auch auf die Technologie der Firma Jaguar, die ebenso in diesem Bereich einsteigen wollen. Die Form der Taxibestellung entwickelt sich vom Telefonat hin zur 878-App und auch Bestellungen über unsere Homepage Taxi 878 nehmen rasant zu. Wir kommunizieren auf allen Kanälen und entfernen uns vom Imageplakat oder -inserat. Dieses Unternehmen zu führen, das macht jeden Tag immer noch Spaß“.

Ich werfe an dieser Stelle die Bemerkung ein, dass ich ihre Haltung sehr bewundere, worauf Sylvia nichts sagt, nur gelassen lächelt. Sylvias Büro wurde – bis heute unaufgeklärt – vor wenigen Monaten durch einen Brandanschlag zerstört, sie wurde ebenso unlängst von einer Hundertschaft, die den kommunikativen Anforderungen eines Stammkunden nicht entsprach und somit dessen Fahrten nicht durchführen durfte, bestreikt, sie hatte es mit untergriffigen Anfeindungen, mit Denunzianten, mit schäbigen Publikationen und nicht zuletzt mit einem „bedauernswerten, lieben Mitarbeiter“, wie sie sagt, der sich das Leben nahm und den sie erhängt vorfand, zu tun. Dennoch lächelst du, sage ich, strahlst Zuversicht aus und freuest dich an dem, was du machst: das Leiten eines hart umkämpften, im unteren Lohnsegment angesiedelten Gewerbes.

Die Sache mit Sylvia Loibner

„Jede Taxifahrerin und jeder Taxifahrer“, nickt sie heftig, „hat extrem viele Arbeitsstunden zu bewältigen, um über ein angemessenes Einkommen zu verfügen“. Charaktereigenschaft Nummer Fünf: Solidarität mit ihrem Team. „Als wir den Datenfunk einsetzten“, erzählt sie, „da zog dies durch die einfache Handhabe auch Menschen an, die unserer Sprache nicht gänzlich mächtig sind. Dies wiederum führte dazu, dass wir bald als Taxiunternehmen galten, in dem nur Migranten beschäftigt sind. Das brachte erneut große Anforderungen mit sich, sei es hinsichtlich unserer Schulungen oder auch der Kommunikation nach Außen. Zugleich vermitteln wir jährlich bis zum Doppelten dessen, was alle anderen Flotten gemeinsam an Fahrten zu verbuchen haben. Die Atmosphäre, unter der wir heute arbeiten müssen, ist geprägt von ethnischen und religiösen Anfeindungen. Unter all dessen habe ich immer einen Satz von Timothy Snyder im Kopf: Wir machen die Mächtigen zu Mächtigen. Die Betonung liegt auf dem Wort wir. Wenn man nichts tut, meine ich, dann macht man sich mitschuldig“.

Sylvia beginnt ungern bei sich selbst, es sei wiederholt. Ihr Redeschwall über das sozial Notwendige in unruhigen Zeiten unterstreicht ihr großes Engagement abseits von Gewinnmaximierungen und Wachstumsraten. Als Tausende Flüchtlinge im vergangenen Jahr die Südsteiermark und den Raum Graz erreichten, da stand sie gemeinsam mit unzähligen Fahrerinnen und Fahrern an der südsteirischen Grenze, kassierte dafür Anfeindungen und Vorwürfe. Als wir nach Stunden des Redens über ihre Biografie schließlich besprechen, was davon nun wichtig ist und was ausgelassen werden kann, da meint sie, es sei nicht notwendig, den 2012 durch die Wirtschaftskammer verliehenen Berufstitel zu nennen, oder die Erzherzog-Johann-Medaille als Steirischer Leitbetrieb. Eines allerdings ist gewiss: Was Sylvia Loibner in die Hand nimmt, das macht sie gründlich. Wiederholung des Charakterzugs Nummer Zwei. Sie ist immer gut vorbereitet, weiß, was sie will und auch, was es braucht. Wenn sich also der Vorarlberger Weitblick ins Dreiländereck mit dem Heimischen des Montafons verbindet, dann wirkt sich dies bei Sylvia Loibner als „Botschafterin für die Antidiskriminierungstelle“ und als Förderin des Grazer Blindeninstituts „Odilien“ aus. Dort schließlich haben wir uns kennengelernt. Und beim Gehen wiederholt sich Charakterzug Nummer Drei: Sie wolle zum nächsten Termin nicht zu spät kommen, meint sie fast entschuldigend.

verfasst im Juni 2017

von Rainer Juriatti:

Der gebürtige Bludenzer ist Schriftsteller und Drehbuchautor und lebt seit 2011 mit seiner Familie in Graz (Mehr Biografisches lesen Sie hier). Gemeinsam mit verschiedenen Teams betreibt er dort die Werbeagentur „Das Freitag Nachmittag Kollektiv“.