Renate Fleisch

Wegbereiterin und Kämpferin für Frauenrechte, langjährige Leiterin der „AIDS-Hilfe Vorarlberg“

Ein Porträt von „Schwarz auf Weiß“ in Kooperation mit dem Vorarlberger Fraueninformationszentrum „femail“

Die gebürtige Bregenzerin ist zunächst als federführende Mitbegründerin des feministischen Bildungszentrums “Frauengetriebe” öffentlich bekannt geworden: 15 Jahre lang war sie gemeinsam mit Lidija Milon Geschäftsführerin der ältesten autonomen Institution von und für Frauen. Ebenso lange war Renate Fleisch danach Leiterin der „AIDS-Hilfe Vorarlberg“. Seit Jahresbeginn 2019 ist die Frauenrechtsaktivistin und Pionierin nun in Pension. Renate Fleisch hat sich daher in den vergangenen Monaten intensiv mit ihrer beruflichen Laufbahn und damit viel mit sich selbst und ihrem Wirken auseinander gesetzt, – sei es auf die Vorbereitung für Interviews oder im persönlichen Gespräch:

Unser Treffen mit Renate Fleisch in einem Cafe in Ludesch, wo sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten wohnt, gestaltet sich als eine Mischung aus beidem: in unserem recht persönlichen „Interview-Gespräch“ zeigt sich Renate Fleisch glücklich darüber, sagen zu können, dass sie „in dieser Gesellschaft eigentlich immer sehr furchtlos war und nicht dem Mainstream folgen musste“, um sich selbst sicher und anerkannt zu fühlen: „Ich habe eigene Vorstellungen, und ich habe mich auch getraut, sie in Angriff zu nehmen und umzusetzen. Das alles ist mit der feministischen Arbeitsweise als Frauenkollektiv und natürlich auch eng mit meiner Herkunft und meiner Generation verbunden, in der ich aufgewachsen bin. Denn in meine Jugend- und jungen Erwachsenenjahre fallen die großen Jugend- und Frauenbewegungen unserer Zeit. Das hat mir ordentlich Rückenstärkung gegeben, mich in meinem eigenen Tun und in meinen Vorstellungen motiviert und bestärkt.“

Vier Generationen auf 60 Quadratmeter

Renate Fleisch ist in der Südtiroler-Siedlung in Bregenz aufgewachsen. Ihre Vorfahren mütterlicherseits stammen aus Südtirol: „Nach dem Hitler-Mussolini-Abkommen war meine alleinstehende Großmutter als Witwe eine damals sogenannte abkömmliche Person mit zwei kleinen Kindern. Gemeinsam mit meiner Urgroßmutter, ihrer kleinen Tochter und ihrem Sohn ist sie nach Bregenz in eine kleine Wohnung gezogen. Meine Mama war damals fünf Jahre alt“, erzählt Renate Fleisch.
Als Renates Mutter später geheiratet hat, ist das Paar in der kleinen Wohnung in Bregenz wohnen geblieben. Und irgendwann waren es dann sieben Personen und vier Generationen, die auf 60 Quadratmeter zusammen gelebt haben: „Für uns Kinder – ich habe einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester – war das natürlich super!“, schwärmt die Ende 50-Jährige heute. „Für die Erwachsenen nicht so sehr“, fügt sie hinzu. „Es war doch recht beengt. Vor allem für ein junges Paar war das ein Leben mit so gut wie keiner Privatsphäre…“

Eine Linie mit starken Frauen

In diesem Mehrgenerationen-Haushalt sei sie sehr behütet aufgewachsen. Renate Fleisch hat viel von der Stärke der Frauen in ihrer Familie mitbekommen: „Das waren starke Persönlichkeiten, die ihr Ding gemacht haben. Alle waren sie Mütter, die nebenher gearbeitet haben – meine Uroma, meine Oma als Alleinerzieherin sowieso, die hat sich das auch nicht aussuchen können. Meine Oma selbst war ein uneheliches Kind, die damals furchtbare Rahmenbedingungen hatte und in der Gesellschaft natürlich eine große Stärke mitbringen musste, um ihr Leben zu managen. Sie verkörpert für mich das, was man heute als Resilienz umschreiben würde, also die Fähigkeit, Krisen gut zu bewältigen: Meine Oma hat nicht gehadert mit ihrem Schicksal, war ein positiver Mensch und hat uns als Enkel entsprechend miterzogen. Jetzt im Nachhinein betrachtet, finde ich es unglaublich, wie viel positive Energie sie uns mitgegeben hat. Es freut mich sehr, dass ich solche Vorfahren habe. Man kann sich ja nicht aussuchen, in welche Familie man hineingeboren wird.“

Blick auf die Welt von Beginn an geprägt

Renate Fleisch ist stolz darauf, dass die Frauen in ihrer Familie sehr zu ihrer persönlichen Stärke beigetragen haben. „Für die Südtiroler ist es in Vorarlberg anfangs ja nicht so einfach gewesen: Meine Mutter ist als Südtiroler Mädchen noch beschimpft worden. Man hat ihr auf dem Schulweg Südtiroler Bolla hinterher gerufen. Klar hat sie postwendend Vorarlberger Bolla gerufen.“ Sie seien froh gewesen, als sie dann von den Kärntner Zuwanderern sozusagen abgelöst worden sind, denen man dann hinterher gerufen hat. Renate Fleisch selbst sei nie direkt mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert worden, weiß aber was es bedeutet: „Weil meine Mama, Oma und Uroma das noch hautnah miterlebt haben. Das ist damit Teil meiner Familiengeschichte. Ich wusste dadurch schon früh, auf welcher Seite ich stehe.“ Renate Fleisch vermutet, dass sie deshalb auch besonders sensibilisiert ist, wenn es um Benachteiligung geht. „Weil ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich hatte aber keine Angst, das anzusprechen, weil es um Menschenwürde und –rechte geht“.

Was die Schulausbildung betrifft, war für die Mädchen in der Familie klar: „Wir konnten eine berufsbildende Schule machen, ein Studium war aus finanziellen Gründen für meinen Bruder vorgesehen. Ich bin in die Fachschule für wirtschaftliche Frauenberufe Marienberg gegangen, und das war für uns schon ein Aufstieg.“ Drei Jahre lang hat Renate Fleisch die HLW Marienberg in Bregenz besucht. „Meine Mama ist voll dahinter gestanden und hat mich unterstützt. Es war in unserer Situation schon etwas Außergewöhnliches. Es ist alles in allem schon bemerkenswert, wie der Blick eines Menschen auf diese Welt von Beginn an geprägt wird!“, philosophiert Renate Fleisch. „Ich finde es gut, wie sich das bei mir entwickelt hat. Ich habe schnell verstanden, dass ich da einen besonderen und sehr wichtigen Blickwinkel mitbekommen habe. Und den wollte ich immer weiter öffnen – auch für andere!“

Ein Jahr des Erwachsenwerdens

Nach ihrem Schulabschluss hat sie als 17-Jährige ein Jahr lang als Aupairmädchen in Paris gearbeitet. “Schon damals ist es als wichtig angesehen worden, Lebenserfahrung im Ausland zu sammeln. Es war eine ziemlich heftige Zeit für mich. Ich habe ja nicht einmal gewusst, wie man eine U-Bahn-Türe öffnet, hatte keine Ahnung von der fremden Welt. Für mich war das ein Jahr des Erwachsenwerdens und des persönlichen Erstarkens. Eine richtig wichtige Zeit. Als ich zurückgekommen bin, war ich sehr selbständig. Ich habe mir auch zuhause gar nichts mehr sagen lassen, was ganz bestimmt nicht einfach war für meine Familie.“
Renate Fleisch ist bald darauf ausgezogen. In ein eigenes Zimmer in Bregenz, denn eine ganze Wohnung stand aus Kostengründen nicht zur Debatte. „Und es war wieder mal meine Oma, die das für mich organisiert hat“, schmunzelt Renate Fleisch. „Sie hatte damals ein richtig gutes Netzwerk und dadurch ein möbliertes Zimmer für mich gefunden.“

Den eigene Beitrag für diese Welt leisten

Ihr erster Job führte Renate Fleisch in die Fürsorgeabteilung der Stadt Bregenz, wo sie sich als Sachbearbeiterin auch mit vielen traurigen und harten Schicksalen sowie bitterer Armut konfrontiert sah: „Ich musste unter anderem die Sozialhilfeanträge bearbeiten und die Begründungen schreiben, warum bestimmte Personen Unterstützung bekommen sollen. Ich habe die Frauen zum Teil persönlich gekannt, das waren Nachbarn, Freunde, Bekannte meiner Mama, Menschen auch aus der Südtiroler-Siedlung. Ich habe mich für die Frauen eingesetzt, denen man die Anträge ablehnen wollte. Ich konnte das jedoch nicht bestimmen. Ich habe dann gemerkt, dass ich eine Arbeit möchte, bei der ich selbst entscheiden kann.“

Beruflich war für Renate Fleisch dadurch sehr schnell klar, wo sie sich einbetten wollte, in welche Richtung es gehen sollte: „Dass es für mich das Traditionelle nicht sein würde, wusste ich bald. Ich fand es immer schon wichtig, seinen eigenen Beitrag in dieser Welt zu leisten, wenn es nur irgendwie möglich ist.“ Es scheint ihr daher im Rückblick nur logisch, dass sie sich zunächst als Sozialarbeiterin ausbilden ließ. „Das Thema Familiengründung war für mich schlicht noch keine Option, ich war weit davon entfernt und beschloss daher, mich weiterzubilden.“ Die damals 20-Jährige hat sich für ein Studium an der damaligen „Sozialakademie“ in Bregenz entschieden. „Meine weitere Ausbildung habe ich dann immer berufsbegleitend gemacht und dadurch sehr viel Praxis gehabt – unter anderem auch zwei Jahre im Jugendhaus in Bregenz. Wenn du aus der Praxis argumentieren kannst, hast du meist starke Argumente…“, weiß sie aus Erfahrung.

Erste Hausfrauengruppe

„Auf der Sozialakademie konnte ich mich dann so richtig entfalten und habe das auch gemacht“, schwärmt Renate Fleisch. Gemeinsam mit einer Handvoll Mitstudentinnen hat sie die erste „Hausfrauengruppe“ in der Bregenzer Achsiedlung ins Leben gerufen: „Wir haben das vorangetrieben, was unserer Meinung nach wichtig für die Entwicklung von Frauen war. Wir haben uns auch dann nicht einschüchtern lassen, als uns der Direktor der Akademie darüber aufgeklärt hat, dass wir keine Bedürfnisse erfüllen, sondern vielmehr überhaupt erst den Bedarf nach gewissen Dingen erzeugen. Da habe ich zum ersten Mal gelernt, mir mit entsprechendem Nachdruck Gehör und Respekt zu verschaffen. Denn es war für uns klar: die inhaltlichen Argumente lagen auf unserer Seite, hier wurde mit Ideologie argumentiert. Es war eine richtige Aufbruchszeit. Meine Mitstreiterinnen und ich hatten die Ambition, alte Rollen und traditionelle Frauenbilder aufzubrechen. Viele MusikerInnen dieser Zeit hatten dieselbe Intention – wie beispielsweise Nina Hagen: Vor dem ersten Kinderschrein muss ich mich erst mal selbst befrein…“

©Renate Fleisch

Renate Fleisch in den 1990ern; Foto:©Susanne Koller

Renate Fleisch und ihre Kolleginnen wollten mehr als die damals üblichen Kaffekränzchen und Handarbeitsrunden. „Wir wollten etwas, mit dem das weibliche Selbstbewusstsein gefördert wird. Wir haben schon ein paar wilde Sachen gemacht“, gesteht sie mit Augenzwinkern. „Manche haben etwas gebracht, manche nicht. Wichtig war aber immer, dass es ein anderer Ansatz war als das, was bisher angeboten wurde.“  In den „Hausfrauengruppen“ konnten sich die Frauen treffen, haben etwa besprochen, wie sie sich mehr Freiraum aus ihren Beziehungen herausholen können und wie sie sich vor ungewollten Übergriffen schützen können. „Teilweise waren Frauen in gewalttätigen Ehen gefangen oder durften innerhalb der Familie nicht mitreden oder lebten in schwierigen Verhältnissen, die sie alleine nicht durchbrechen konnten. Wir haben versucht, das ein bisschen aufzumischen. Allein schon darüber zu reden, sich auszutauschen, Unaussprechliches endlich anzusprechen, war wichtig. Es war eine Art Gruppenarbeit, eine revolutionäre Methode, die mit feministische Ansätze umschrieben wurde.“ Wie wichtig das war, zeigte allein schon die Tatsache, dass Renate Fleisch und ihre Kolleginnen schon darum streiten mussten, diese Hausfrauengruppen überhaupt nur veranstalten zu dürfen…

Weibliche Stimme für sich sprechen lassen

„Es war eine Zeit, in der Frauen, die nicht aus ökonomischen Gründen berufstätig sein mussten, sich nicht einmal sagen trauten, dass sie neben Kind und Familie auch gerne arbeiten gehen würden“, erklärt Renate Fleisch am Beispiel der Bedarfserhebung von Bürgermeistern zur Kinderbetreuung. Es sei daher wichtig gewesen, bei dem Treffen zunächst bewusst keine Männer dabei zu haben. Auch wenn es mitunter richtig schwierig war, das zu erklären. „Wir haben dadurch natürlich auch einige männliche Mitstreiter vergrault. Aber es war zu Beginn einfach einmal wichtig, die weibliche Stimme für sich sprechen zu lassen. Wir wollten uns einfach einmal einen Platz verschaffen, niemand sollte dreinreden. Unsere Zielrichtung war eigentlich sehr klar – frei nach Janis Joplin: Schränken Sie sich nicht ein. Sie sind alles, was Sie haben. Das war für den Emanzipationsprozess sehr wichtig. Nur so konnten wir unsere Idee weiter bringen. Mit der Zeit konnten wird dann auch Männer in unsere Politik einbinden.“

Pionierinnen

Durch all ihre Aktivitäten hat es sich wie von selbst ergeben, dass Renate Fleisch in mehreren Fraueninitiativen live dabei war, etwa für die Einrichtung eines Frauenhauses in Vorarlberg von Beginn mitgekämpft und sich in einer Gruppe gegen Gewalt an Frauen und für den Frauennotruf eingesetzt hat. „Die einzelnen Gruppen haben sich auch immer wieder zusammen geschlossen und gemeinsame Aktionen durchgeführt“, ergänzt sie. „Man muss sich das erst einmal vorstellen: Frauenhäuser und Gewaltschutzstellen gab es ja noch nicht. Alles, was für uns heute so selbstverständlich klingt, hat es zu der Zeit nicht gegeben. Wir haben richtige Pionierarbeit geleistet, von Null angefangen!“

Renate Fleisch hat während ihrer Zeit an der „Sozialakademie“ ein Praktikum im Frauenhaus in St. Gallen gemacht. In der benachbarten Schweiz hat es ein solches nämlich bereits gegeben. „Von dort aus haben wir von der Initiativgruppe Vortragende nach Vorarlberg geholt, die ihre Konzepte vorgestellt haben. Das waren absolute Fachfrauen, denen auch die Vertreter der offiziellen Sozialeinrichtungen des Landes zugehört haben. Unsere Initiativen sind ja mehr als wilder feministischer Haufen bezeichnet worden, den man nirgendwo einordnen konnte. Aber den Wissenschaftlerinnen aus der Schweiz hat man immerhin zugehört…“

Die Gunst der Stunde haben Renate Fleisch und ihre Mitstreiterinnen genutzt und im Anschluss den Landespolitikern ihrerseits ein Konzept für ein autonomes Frauenhaus nach Schweizer Vorbild vorgelegt. „In einer ersten Reaktion ist das allerdings natürlich abgewunken worden. – Mit dem Hinweis übrigens, man suche lieber nach einer landesüblichen Lösung. Da hast du dann verstanden: das was du hier machst, ist Strukturarbeit. Arbeit an Strukturen, die verändert gehören.“ Das war ein weiterer Stein für den politischen Weg von Renate Fleisch.

Austausch über die Ländergrenzen hinweg

Mit dem Abschluss der Sozialakademie in der Tasche, hat Renate Fleisch zunächst drei Jahre lang in der Sozialpsychiatrie des „Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin“ kurz „aks“ gearbeitet.  Für sie war nämlich klar, dass sie nach ihrer Ausbildung im Land bleiben wollte: „Und dabei war auch klar: wenn ich hierbleibe, muss es hier Veränderungen geben. Denn es ist auch mein Land! Ich habe auch beim aks Frauengruppen für KlientInnen gegründet. Wir wollten zumindest für dieselbe Frauen-Infrastruktur kämpfen, die wir auch von anderen (Bundes-)Ländern her kannten. In Wien, Berlin und Zürich gab es beispielsweise Frauenselbsthilfegruppen, Frauenbuchläden und ähnliches. Und bei uns in Vorarlberg gab es einfach: nichts!“

Gemeinsam mit den Initiatorinnen des späteren „Frauengetriebe“ hat sich Renate Fleisch feministische Einrichtungen im In- und Ausland angesehen und hat immer wieder darauf gepocht, dass auch Vorarlbergs Frauen das Recht auf eine frauenspezifische fortschrittliche Infrastruktur haben. „Wir wussten ja“, fügt sie – wieder mit einem Zitat – dazu: „Man muss sich die Freiheit nehmen. Sie wird einem nicht gegeben. Das stammt von Meret Oppenheim.“ Renate Fleisch sah und sieht die Frauenbewegung als etwas Internationales. „Wir waren ständig im internationalen Austausch. Wir hatten dadurch  eine starke Position, und wir waren auch bereit dazu, alles selbst in die Wege zu leiten. Das hat uns noch stärker gemacht. Man konnte uns nicht spalten. Gabi Marth, Brigitte Holzknecht, Franziska Schulz, Lidija Milon und ich – das war der harte Kern. Und es sind immer wieder tolle und aktive Frauen dazu gestoßen. Unser Ausgangspunkt war unsere persönliche Betroffenheit als Frauen von der Situation in Vorarlberg. Aber auch unser Wissen über die Situation der Frauen in der Welt. Die Lebensumstände für Frauen sind in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich, weltweit ist aber deutlich, dass die Lage der Frauen überall schlechter ist als jene der Männer.“

Immer wieder einmal musste die Euphorie der Frauenrechtskämpferinnen herbe Dämpfer einstecken. Renate Fleisch hat mehr als einmal erlebt, dass konservative Muster sehr stark sind, jedenfalls nicht so einfach zu durchbrechen. „Es waren sehr starre Strukturen und politisch gefestigte Verbindungen, an denen zunächst einmal alles, was von uns kam, einfach abprallte; es ist einfach alles kategorisch abgelehnt worden. Doch das hat uns nur noch mehr bestärkt, unseren Weg zu gehen und politisch weiter zumachen. Als Pionierinnen gehst du nicht auf ausgetretenen Pfaden sondern du weißt: Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen. Das stammt von Franz Kafka.“

Hotspot für feministische Studien

Renate Fleisch hat sich entschieden, sich an der Universität in Innsbruck entsprechend weiter zu bilden und ein berufsbegleitendes Studium der Pädagogik und Politikwissenschaften zu beginnen. „Weil ich keine Matura hatte, musste ich zunächst dafür sämtliche Aufbaulehrgänge und Berechtigungsprüfungen absolvieren. Ich war 28 Jahre alt, als ich an die Uni begonnen habe. Und dieser Beginn war dann der absolute Flash für mich – ich habe beispielsweise die Autorinnen der Bücher persönlich kennen gelernt,  die wir zu der Zeit gelesen haben. Die waren nämlich dort als Referentinnen tätig. Innsbruck war zu meiner Zeit der Hotspot für feministische Studien. Wir haben im Studium unter anderem im Schichtwerk die Geschichte der Fraueninitiativen im Land aufgearbeitet.“

Am Puls der Zeit

Renate Fleisch durfte ihre schriftlichen Arbeiten für ihre feministischen Bewegungen verfassen, musste also kaum eine Seminar- oder Abschlussarbeit für die Schublade verfassen. So konnte sie etwa auch die Geschichte ihrer Initiative „Frauengetriebe“ dokumentieren. „Das heißt, ich war in der privilegierten Situation, unsere eigene Praxis zu beforschen und so eine Verbindung von Praxis und Theorie herzustellen. Ich habe mich dort wirklich mit vielen wichtigen Themen auseinandersetzen können, beispielsweise auch mit dem Autorinnenkollektiv Libreria delle Donne di Milano ihre Texte „Wie weibliche Freiheit entsteht“ besprochen und diskutiert. Das war schon was sehr besonders, am Puls der Zeit zu sein und unglaublich bereichernd für mich. Wir haben uns dadurch fachlich laufend weitergebildet, immer wieder unsere Schritte reflektiert und analysiert, haben eine hohe Fachlichkeit im Bereich feministischer Bildung und Frauenbewegung sowie eine hohe Expertise in der Frauenpolitik erreicht. Wir haben eine Konzeption für spezifische Frauenbildung – angepasst an den Lebensbedingungen der Frauen – entwickelt, haben Publikationen herausgegeben, Fachtagungen unter anderem mit dem Frauenministerium veranstaltet und vieles mehr.“

Akademikerin mit Praxis

Die Referentinnen ihrer Studienzeit waren daher auch starke Vorbilder für Renate Fleisch. „Wir habe einige dieser Frauen später auch für Referate und Vorträge nach Vorarlberg geholt: Die deutsche Soziologin und Philosophin Frigga Haug war beispielsweise über alle Religions- und Parteigrenzen hinweg anerkannt, konnte Zusammenhänge erklären und hat das mit einer bemerkenswerten Ruhe und fundiertem Wissen getan. Das war bahnbrechend. Sie hat nicht ideologisch argumentiert, sondern akademisch die Dinge auf den Punkt gebracht. Das waren richtige Highlights. ReferentInnen von außerhalb haben immer einen besonderen Effekt: wir konnten unsere Argumente von Fachleuten quasi bestätigen und legitimieren lassen. Es war eine Bestätigung und gleichzeitig auch eine Internationalisierung.“

Drin Renate Fleisch, Begrüßung Vorarlberger AIDS-Gespräche 2016; Foto: ©Renate Fleisch

Drin Renate Fleisch, Begrüßung Vorarlberger AIDS-Gespräche 2016; Foto: ©AIDS-Hilfe Vorarlberg

Deshalb war für Renate Fleisch die Verbindung von Theorie, akademischem Wissen und Praxis immer schon ein wichtiges Anliegen. Sie selbst hat während ihres Studiums immer gearbeitet und das Wissen aus der Universität ins „Ländle“ getragen. „Wir hatten Wissenschaftlerinnen aus Wien, Berlin und München bei uns. Da habe ich Vorarlberg auch als sehr offen erlebt. In dieser Zeit hat sich viel getan, ich habe große Öffnungen erlebt. Für mich persönlich war die Akademisierung ein wichtiger Schlüssel für die eigene Weiterentwicklung und Selbstbefreiung. Ich habe mich immer auf Theorie UND Praxis konzentriert, eines alleine wäre mir zu wenig gewesen. Ich wollte das immer zusammen bringen. Es schien mir der effektivste Weg, um etwas zu ändern.“

Ein Jahr nach ihrem Studienbeginn war es für Renate Fleisch auf diese Weise auch möglich, federführend das „Frauengetriebe“ mitzubegründen:

Auf dem Weg zu Vorarlbergs ältester unabhängigen Frauen-Einrichtung

Dem offiziellen Startschuss des Vereins im Jahr 1989 war allerdings einiges an Überzeugungsarbeit vorausgegangen. „Unsere Anliegen in eine Konzeption zu verpacken war ein langer Weg“, bestätigt Renate Fleisch. Das „Frauengetriebe“ sollte ursprünglich drei Haupt-Ebenen vereinen, sollte eine Werkstatt für Baukeramik, ein Beratungs- und Bildungszentrum sowie ein Gastronomiebetrieb sein. „Wir hatten geplant, eine Werkstatt einzurichten, Beratungen und Bildung anzubieten und ein FrauenCafé zu eröffnen, das als gesicherte finanzielle Basis für unser Projekt dienen sollte. In diesen Bereichen sollten auch Arbeitsplätze für langzeitarbeitslose Frauen angeboten werden. Das Konzept dafür haben wir eingereicht. Und da hat es dann ordentlich rumort in der hiesigen Politik.“ Renate Fleisch und ihre Team haben das Konzept nicht nur beim Land, sondern gleichzeitig auch beim Bund eingereicht. „Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht: Wenn Wien tatsächlich mit einer Unterstützungsabsicht antwortet, kommt das Land unter Zugzwang. Vorarlberg hat oftmals erst dann in unsere Richtung geschaut, wenn der Bund es zuerst getan hat…“

Mutig Position beziehen

In der „heiße Phase“ war Brigitte Bitschnau-Canal Frauenreferentin der Vorarlberger Landesregierung und das InitiatorInnenteam durfte das Projekt „Frauengetriebe“ bei einer Sitzung in den Räumen des „Arbeitsmarktservice Vorarlberg“ in Bregenz vorstellen. „Wir haben bewusst diese Räumlichkeiten ausgewählt, um zu zeigen: Wir sind da! Wir sind offizieller Teil dieses Landes. Vertreter von Land, AMS, Arbeiterkammer und Sozialministerium waren anwesend, um uns zuzuhören.“ Das Team hatte eigens eine Betriebswirtin organisiert, die das Konzept professionell präsentiert hat. „Das war so richtig perfekt. Brigitte Bitschnau-Canal war übrigens außer uns neben der AMS-Frauenreferentin die einzige Frau im Plenum – letztere war lediglich angewiesen worden, für alle Kaffee zu kochen. Daran kann ich mich noch gut erinnern, weil ich mir gedacht habe: Na das fängt ja schon gut an! Nach unserer Präsentation kamen dann auch prompt die Einwände der männlichen Teilnehmer, die diese Sitzung vermutlich eher als Formsache gesehen haben, unseren Antrag abzulehnen. Allerdings hatte Brigitte Bitschnau-Canal das abschließende Wort und die meinte ganz trocken, dass sie sich da durchaus was vorstellen könnte. Die Entrüstung war im ersten Moment groß. Als die Frauenreferentin dann auch noch die Summe des Budgets ins Rennen warf, das sie dafür zur Verfügung stellen wollte, herrschte Schockstille. Das war dann der Beginn. Das zeigt, wie wichtig es ist, sich zum richtigen Zeitpunkt mutig zu positionieren. Frei nach Che Guevara: Seien wir realistisch, fordern wir das Unmögliche.

Frauengetriebe

1989 ist das „Frauengetriebe“ als feministisches Bildungs- und Informationszentrum von Frauen für Frauen gegründet und zwei Jahre später mit eigenen Räumlichkeiten in der Bregenzer Schillerstraße eröffnet worden. Allerdings mussten sich die Gründerinnen auf lediglich einen ihrer ursprünglich geplanten drei Bereiche beschränken. „Und das war die Bildung. Wir haben frauenspezifische und -relevante Themen in Vorträgen, Workshops und Seminaren behandelt, dazu auch Kulturveranstaltungen angeboten. Unsere Themen waren beispielsweise Frau und Handwerk, Frau und Wissenschaft, Frau und Bildung, Frau und Spiritualität. Wir haben Seminare zu Konfliktmanagement und Reden in der Öffentlichkeit angeboten. Unsere Vortragenden waren immer top ausgebildete Frauen. Allerdings mussten wir diese Persönlichkeiten meistens von außerhalb herholen. Wir haben deutlich gespürt, dass es in Vorarlberg keine Uni gibt, damit kaum Wissenschaftlerinnen und keine freie, junge StudentInnenszene.“

Bildinformation: Diese vier Postkarten stammen aus einer Serie, die das „Frauengetriebe“
zur Aktion „54% der Welt den Frauen“ herausgegeben hat.

Herzblut bei jedem einzelnen Projekt

Ihre Motivation, ständig weiter zu kämpfen, hat Renate Fleisch vor allem durch ihr nebenberufliches Studium gestärkt. Die Verbindung von Theorie und Praxis war also nicht nur ein wichtiges berufliches Fundament, sondern auch ein persönlicher Ausgleich. Nach ihrem Magisterabschluss hat Renate Fleisch ein Jahr lang – sozusagen zur Erholung – „nur“ gearbeitet, bevor sie sich an ihre Doktorarbeit machte. „Das alles geht sich natürlich nur aus, wenn man keine Familie oder Pflegepflichten hat. Das wäre sonst niemals möglich gewesen. Mir war nämlich kein Einsatz zu klein, ich habe jedes einzelne unserer Projekte mit vollem Herzblut und voller Leidenschaft gemacht.“ Es hat dann noch sieben Jahre gedauert, bis Renate Fleisch auch ihr Doktorat in der Tasche hatte. Ihre Arbeiten hatten zwar immer eine Verbindung zu ihrer Tätigkeit beim „Frauengetriebe“, „dennoch musste ich zum Schluss wirklich noch einmal alle Kräfte mobilisieren, um meinen Abschluss zu machen. Das war ein enormer energetischer Aufwand.“

15 Jahre lang war Renate Fleisch gemeinsam mit  Lidija Milon in der Geschäftsführung des „Frauengetriebe“ tätig. „Als Geschäftsführerinnen waren wir dann natürlich sehr öffentliche Personen. Wir sind positiv wie negativ angesprochen worden, wurden bewundert und abgelehnt. Wir haben stark polarisiert. Im Bus, im Zug, auf der Straße. Das war eine richtig lehrreiche, allerdings nicht immer einfache Zeit für mich. Sie hat mir eine dicke Haut beschert – ich hatte irgendwann keine Angst mehr vor nichts und niemandem. Leitsätze sind dabei für mich als persönliche Ermutigungen immer wieder wichtig – wie beispielsweise jener von Luisa Francia: Wer nicht wagt, aus der Rolle zu fallen, wird auch nicht aus der Falle rollen!  

Provokanter Wildwuchs

Furchtlos und beständig hat das Team auch immer und immer wieder um finanzielle Förderung angesucht. Das „Frauengetriebe“ hat stets dafür gekämpft, den Stellenwert der Frauenbildung in der Gesellschaft hoch zu halten und die Pionierleistungen auf diesem Gebiet als wichtigen Teil der Öffentlichkeit zu etablieren. „ Unser Konzept war für damalige Zeiten offensichtlich provokant: Feministische Arbeit unter selbstgestalteten Rahmenbedingen leisten! Und dann unsere Vorgehensweise, als autonome Frauengruppe öffentliche Gelder für ein reines Frauenprojekt einzufordern, in dem es um Existenzsicherung von uns und anderen Frauen geht! -Provokant für das Land, das Arbeitsmarktservice, die Arbeiterkammer und all jene, die im Bildungs- und Arbeitsbereich bereits etwas aufgebaut hatten. Unser Konzept hatte eine Resonanz, mit der ich zu Beginn gar nicht gerechnet hatte. Einmal kam sogar der Vorwurf, wir würden uns unsere eigenen Arbeitsplätze erschaffen. Heute wäre jeder froh darüber, wenn eine engagierte Truppe für offene Stellen sorgt. Aber damals sind wir sogar als Wildwuchs bezeichnet worden, den man eindämmen müsse… Das muss man sich einmal vorstellen! Das war der Umgang mit Pionierinnen!“,  ärgert sich Renate Fleisch noch heute.

Frauengetriebe steht still

Am Ende ihrer Tätigkeit beim „Frauengetriebe“ hatte Renate Fleisch das Gefühl, einen großen Teil von dem erreicht zu haben, was sie sich vorgestellt hatte. „Ich wollte die Kurve in einen anderen Bereich noch erwischen und bin ausgestiegen“.

Vier Jahre später, Ende 2007, war dann in den Medien vom endgültigen „Aus“ des ersten autonomen Bildungszentrums für Frauen in Vorarlberg zu lesen. -Etwa auf der Internetseite im „ORF Vorarlberg“ und und online im „Standard“:  Nach 19 Jahren, die vom Existenzkampf um die von der Landesregierung wenig geliebte Einrichtung geprägt waren, ist nun Schluss mit feministischer Bildungsarbeit. Das Frauengetriebe wird ab 1. Jänner 2008 Vergangenheit sein.“

Auch Vorarlberg ist die Welt

„Das wichtigste, das wir mit erreicht haben, war, dass wir uns als Frauen einen sichtbaren Ort in der Gesellschaft, einen Platz verschafft haben, an dem wir feministische Arbeit unter selbst gestalteten Rahmenbedingungen geleistet und weiterentwickelt haben. Wir haben Existenzsicherung für uns und andere Frauen gefordert, die den normalen Gang durch die Institutionen ausschlägt. Strukturelle Gegebenheiten mit den komplexen Behinderungen und Widersprüchlichkeiten wurden wie unter einem Vergrößerungsglas sichtbar. Als autonome Projektfrauen stellten wir uns ja bewusst und offensiv in das Zentrum der Widersprüchlichkeiten. Dazu brauchst du auch immer ein Netzwerk von Frauen, die in den Institutionen arbeiten und dich unterstützen“, bilanziert Renate Fleisch. Die Projekteszene nehme hier doch eine Vorreiterrolle ein, jenseits der traditionellen Arbeitsplätze.

„Feministische Ansätze bringen deshalb etwas für Frauen, weil sie parteilich auf ihrer Seite stehen und von ihrer konkreten Lebenssituation ausgehen. Und sie haben Entwicklungen angestoßen und eingeleitet, die sonst womöglich erst in 20 Jahren oder gar nicht gekommen wären. Es sind beispielsweise die Erwachsenenbildungseinrichtungen ordentlich unter Druck geraten, sie mussten mit Selbstverteidigungs- und Computerkursen für Frauen nachziehen – zwar mit einem männlichen Kursleiter“, lacht Renate Fleisch, „aber immerhin dezidiert für Frauen. Wir haben die Aufbruchsphase zur damaligen Zeit voll und ganz ausgelebt und genutzt. Es war für die Frauen in diesem Land einfach wichtig zu spüren, dass auch Vorarlberg die Welt ist.“

Wandel des Frauenbildes bewusst machen

Renate Fleisch hat beobachtet, dass junge Frauen heute auf etwas aufbauen, das sie und ihre gesamte Generation noch nicht hatte. Etwas, für das sie damals gekämpft hat und heute selbstverständlich geworden ist. Viele wissen nicht einmal mehr, wie hart der Kampf damals war. „Ein Ungleichgewicht zwischen Mann und Frau bemerken viele Frauen heute meistens erst, wenn es um Familiengründung geht, wenn Kinder da sind und sich die Frage stellt, wer sich um den Nachwuchs kümmert. Wer die Geschichte nicht kennt und alles selbstverständlich nimmt, der könnte spätestens in der Familienphase aus allen Wolken fallen.“
Deshalb ist es nach Ansicht von Renate Fleisch auch wichtig, dass man den jungen Menschen erzählt, was die Generationen vor ihnen geleistet haben, woher die Gleichberechtigung kommt und wie das Frauenbild vor noch gar nicht langer Zeit geprägt war.

Von heute auf morgen Geschäftsführerin der AIDS-Hilfe

Nach ihrer Zeit beim „Frauengetriebe“ ist Renate Fleisch in ein nationales Forschungsprojekt eingestiegen, hat sich feministischen Wissenschaftlerinnen angeschlossen und hat zwei Jahre lang mitgearbeitet. „Ich habe viel gelernt. Es ging darum, wie sich Wissenschaftlerinnen organisieren, die in und außerhalb einer Universität arbeiten. Wir haben uns diese Organisationsprozesse angesehen und analysiert. Eine spannende Zeit, nach der ich mir dann überlegen musste, was ich weiter arbeiten könnte.“

25 Jahre AIDS-Hilfe Vorarlberg im Kunsthaus Bregenz; Foto: ©Renate Fleisch

25 Jahre AIDS-Hilfe Vorarlberg im Kunsthaus Bregenz; Foto: ©AIDS-Hilfe Vorarlberg

Bevor Renate Fleisch allerdings dazu gekommen wäre, sich auf Jobsuche zu begeben, ist ihr Lebensgefährte, der damals die „AIDS-Hilfe Vorarlberg“ geleitet hat, plötzlich ernsthaft krank geworden und vorübergehend erblindet. „Und ich sollte von heute auf morgen einspringen. Und ich fand es von Anfang an spannend. Auch hier galt es, viel aufzubauen. Verhandlungen mit Politikern zu führen. Eine Position zu behaupten. Konservative Werte zu durchbrechen. Wieder Pionierin sein.“

Demo bei der WeltAIDSkonferenz 2010 Wien; Foto: ©Renate Fleisch

Demo bei der WeltAIDSkonferenz 2010 Wien; Foto: ©Renate Fleisch

Natürlich musste sich Renate Fleisch zu Beginn „ganz ordentlich in die Thematik hineinknien“. Als langjährige Führungsperson hat sie zudem für sich den Anspruch, gut in dem zu sein, was sie macht. „Bis sich bei der AIDS-Hilfe dann so etwas wie Routine eingestellt hat, hat es ein bisschen gedauert. Die ersten Pressekonferenzen beispielsweise waren eine echte Herausforderung. Ich bin im Rückblick sehr froh, dass ich mich dieser Herausforderung gestellt habe, – ganz einfach, weil es so viel Handlungsbedarf vor allem im Bereich Antidiskriminierung gab. Auch hier war es wieder knallharte Aufbauarbeit.“

Etablierte Gesundheitseinrichtung

Heute ist der Sensationscharakter der Themen „AIDS und HIV“ weitestgehend verblasst, erklärt Renate Fleisch: „Es gibt Medikamente, mit denen man trotz des Virus‘ ganz gut leben kann.“ Das Thema habe den ganz großen Schrecken verloren, die Gesellschaft akzeptiere es mittlerweile als wichtigen Gesundheitsaspekt, der auch von den Medien regelmäßig und unaufgeregt aufgegriffen wird. „Anders als damals unsere Frauenorganisationen hatte die AIDS-Hilfe schon früher ein etabliertes Standing. Heute ist die Institution eine wichtige Gesundheitseinrichtung für die Prävention im Land. Zum Ende meiner Laufbahn hin ist das auch von der Politik öffentlich so kommuniziert worden. Noch vor 30 Jahren durften die Mitarbeiter der AIDS-Hilfe mit ihrem Wissen nicht an den Schulen referieren“, erzählt Renate Fleisch. „Heute ist es ganz selbstverständlich. Und das ist gut so.“

Bildinformation:
**Benefizausstellung für 30 Jahre AIDS-Hilfe in der Villa Claudia. Gemeinsam mit Verena Leija, Künstlerin und ehem. Präventionistin der AIDS-Hilfe. ; Foto: ©AIDS-Hilfe Vorarlberg
**Deutsch-Österreichischer AIDS-Kongress in München 2017. mit Maga Claudia Mäser, Assistenz der Geschäftsführung und Elke Frischmann bed. Präventionistin; Foto: ©AIDS-Hilfe Vorarlberg

Notwendige politische Strategien

Ihre Nachfolgerinnen in der Geschäftsführung der „AIDS-Hilfe Vorarlberg“ sind im vergangenen Jahr 2018 von Renate Fleisch eingeschult worden: „Ich habe sie in die politischen Strategien eingeweiht, unter anderem darin, dass ein Nein von öffentlicher Seite noch lange keine Nein ist und man sich dadurch keinesfalls schon von vornherein zurückschrecken lassen darf. Politische Strategien sind deshalb notwendig und wichtig. Auf der anderen Seite sollte man auch gut kooperieren können. Ich trau mich zu behaupten, dass das auch eine Stärke von mir ist.“ Renate Fleisch hatte zwar 30 Jahre lang Führungspositionen inne, kann von sich selbst aber behaupten, eine „absolute Teamplayerin“ zu sein. „Das hat man mir immer zugutegehalten. Kooperationsbereitschaft ist eine sehr wichtige Fähigkeit, um in einem Bereich zu wirken, in den mehrere Personen eingebunden und verschiedenen Gruppieren aktiv sind.“
Und noch eine beruflich sehr wirkungsvolle Eigenschaft hat man der Neo-Pensionistin mehrfach bescheinigt:  „Ich bin sehr humorvoll, kann auch über Situationen lachen, die nicht ganz so gut für mich gelaufen sind.“

Zufriedenheit am Karriereende

Renate Fleisch ist richtig glücklich mit dem Ende der Berufskarriere: „Ich hätte mir nicht gedacht, dass das einmal so sanft verlaufen würde, dass ich derart zufrieden aussteige. Das ist für mich auch neu, und ich muss gestehen: es hat mich zunächst ein bisschen irritiert. Ich habe mich selbst sogar gefragt, wie das sein kann. Aber ich habe einfach sehr vieles erreicht, was ich mir in diesem Bereich vorgenommen habe. Ich habe die Ziele, die ich mir beruflich gesteckt habe, tatsächlich umgesetzt.  Es waren in meinen letzten Jahren bei der AIDS-Hilfe Aktionen möglich, die zu Beginn undenkbar gewesen wären. Es fühlt sich nun doch ein wenig wie eine Erntezeit an“, bestätigt Renate Fleisch. In ihrem Job habe es nämlich in all der Zeit nicht viel zu ernten gegeben. Es war ja alles im Aufbau. „Und das war jetzt tatsächlich ein guter Abschluss für mich.“

Pferdestall und Weltladen

Das Ende ihrer „Berufskarriere“ bezieht sich allerdings nur auf die Geschäftsführung der „AIDS-Hilfe“, denn Renate Fleisch wird auch künftig in kleinerem Rahmen noch sozial- und gesellschaftspolitisch tätig sein. Im „Weltladen“ in Bludenz setzt sie dafür ihre ersten Schritte: „Ich werde im Laden stehen und verkaufen. Das Konzept, das dahinter steckt, gefällt mir einfach.“

Und dann sind da noch ihre Pferde. Renate Fleisch hat gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten in Ludesch einen Bauernhof zu einem Pferdestall ausgebaut.

Weidepflege mit Pferdemädchen Lina am Weltqigongtag; Foto: ©Renate Fleisch

Weidepflege mit Pferdemädchen Lina am „Welt-Qigongtag“; Foto: ©Renate Fleisch

„Wir haben drei Pferde, um die ich mich nun intensiv kümmern werde. Endlich ist die Zeit da!“ Im Pferdestall Fleisch wird nach dem sanften Ausbildungsprinzip des „Parelli Natural Horsemanship“ trainiert:

©Renate Fleisch

©Renate Fleisch

„Ich möchte die Kommunikation zu meinen Tieren damit verbessern. Ich habe gelernt, dass man im Umgang mit Pferden immer hundert Prozent anwesend sein muss, bei der kleinsten Ablenkung kann man die Verbindung  verlieren. Wenn ich mit dem Kopf woanders bin, dann klappt die Kommunikation nicht. Gleichzeitig musst du immer wieder raus aus der Komfortzone und erfährst damit tolle Ermutigung. Und du hast mit Pferden eine unglaubliche und schöne Selbsterfahrung – ganz nach dem Motto: Wirf dein Herz voraus und dein Pferd wird ihm folgen.“

verfasst im Jänner 2019

von Schwarz auf Weiß in Kooperation mit femail:

Dieses Porträt ist in Kooperation mit dem Vorarlberger Fraueninformationszentrum „femail“ entstanden.  „femail“ mit Sitz in Feldkirch ist eine Servicestelle von und für Frauen. Ausgebildete Spezialistinnen bieten Informationen in Einzelberatungen und Workshops zu den Themen Arbeit, Bildung, Familie, Gesundheit, Absicherung und Integration.

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